Auslandssemester – Benelux-Staaten

Du möchtest unbedingt ins Ausland, aber Australien, Kanada oder USA sind Dir eine Nummer zu groß?
Manchmal muss man für ein Auslandssemester gar nicht so weit reisen. Deutschland hat so viele Nachbarländer, die alle einzigartig hinsichtlich ihrer Kultur, Geschichte und Landschaft sind.
Wenn Dich langgezogene Kanäle, historische Altstädte oder atemberaubende Kunstausstellungen interessieren, dann könnte einer der Benelux-Staaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg) genau das richtige Ziel für Dich sein!
Belgien
Ghent
Bereits zweimal hat es mich nach Ghent gezogen – im Rahmen eines Erasmus+ Auslandssemesters und für einen 1-jährigen Forschungsaufenthalt, bestehend aus Forschungspraktikum und Masterarbeit. Daher folgt nun eine kleine persönliche Hommage an das Land der Fritten, Pralinen und des Bieres.
Ghent ... wo liegt das nochmal?
Die meisten haben wahrscheinlich noch nie etwas von Ghent gehört. Das liegt vermutlich daran, dass Belgien 1. kein krasses Touristenland ist, so wie z. B. Italien oder Spanien, und 2. das Land so klein ist, dass die meisten Leute nur Brüssel kennen. Tatsächlich hat Belgien nicht viele Großstädte. Das bekannte Brüssel, wo auch das Europaparlament sitzt, zählt 1,2 Millionen Einwohner. Danach folgt Antwerpen mit einer halben Million und Ghent mit ca. 250.000 Einwohnern.
Goededag, Bonjour und Guten Tag!
Ghent ist die Hauptstadt Ostflanderns. Flandern ist die Region Belgiens, in der Flämisch – eine abgewandelte Form des Niederländischen – gesprochen wird. Die zwei anderen Amtssprachen sind Französisch (Wallonie) und Deutsch (Ost-Belgien). Die Mehrsprachigkeit ist für alle Sprachbegeisterten als auch Fremdsprachen-Muffel ein Segen. Einerseits hat man die Möglichkeit, neben dem Flämischen (was sehr einfach zu verstehen ist) auch Französisch im Alltag zu lernen. Andererseits sind viele Schilder oder Flyer von Attraktionen sowie Bahnhofsdurchsagen und Lebensmittelprodukte auch auf Deutsch, sodass man generell keine Kommunikationsschwierigkeiten haben sollte.
Die Belgier sprechen aber auch exzellentes Englisch (sogar Senioren). Das kommt daher, dass viele Bücher, Filme, Serien etc. gar nicht erst ins Flämische oder Niederländische übersetzt werden und stattdessen nur in der englischen Originalfassung verfügbar sind.
Übrigens, Ghent ist die internationale Schreibweise. Im Flämischen schreibt sich Gent ohne h. Vermutlich ist es für Deutsche auch intuitiver. Da ich jedoch als internationale Studentin dort war, ist mir die englische Version Ghent deutlich häufiger begegnet und hat sich in meinem Sprachgebrauch eingebürgert.

Achtung, Strafen!
Ghent liegt etwa 30 Minuten mit dem Zug westlich von Brüssel entfernt. Die Zuganbindung in Ghent ist hervorragend. Innerhalb Belgiens kommt man zu allen größeren, touristischen Städten wie Antwerpen, Brügge, Leuven, Liège und noch viele mehr. Auch die Küste ist bequem mit dem Zug zu erreichen. In ca. 45 Minuten ist man in Oostende und kann dort herrlich am Strand spazieren.
Das belgische Bahnsystem ist ein bisschen anders als in Deutschland. Belgische ICs sind mit deutschen Regionalzügen vergleichbar. Auch ungewöhnlich ist, dass manche Züge noch mit Dieselmotoren fahren. Dafür ist die belgische Bahn (SCNB) aber deutlich besser aufgestellt, was Vergünstigungen aller Art angeht. Für Studenten unter 26, die gerne hin und wieder Städte besuchen, gibt es ein 10er-Ticket für nur 60 € (in der App). Fährt man an einem Tag hin und zurück bietet sich das Weekend Ticket für ca. 8 € an (Stand 2025). Dabei spielt die Entfernung keine Rolle (es muss nur innerhalb Belgiens sein).
Ich kann Zugfahren in Belgien nur empfehlen. Es ist günstig, bequem und stressfrei. V. a. da einige Städte autofreie Zonen errichtet haben. So kann man in Brügge fast gar nicht mit dem Auto in die Innenstadt fahren und in Ghent gibt es eine bestimmte Zone, die man nur nach Voranmeldung des Autos bei der Stadtverwaltung und nur mit grüner Plakette befahren darf.
Fun Fact: ich wusste das auch nicht, als meine Eltern mich nach Ghent mit dem Auto begleitet haben. Normalerweise droht bei einem Verstoß eine Geldstrafe von 150 €. Wir hatten allerdings Glück und kamen nochmal so davon. Aber sei gewarnt! Es gibt Kameras, die die Kennzeichen in der autofreien Umweltzone scannen. Also lieber auf Nummer sicher gehen. Die Anmeldung des Kfz für das Befahren der Umweltzone kostet auch nichts (zumindest bei grünen Plaketten).
Auch wenn diese Regelung erstmal befremdlich wirkt, hat sie doch ihre Vorteile. Die Luft in der Ghenter Innenstadt ist deutlich besser als in deutschen Städten vergleichbarer Größe.
Versicherungen, Ärzte & Co.
Nachdem ich gut in Ghent angekommen war, stand natürlich erstmal Papierkram an und zwar die Anmeldung als internationale:r Student:in bei der Stadt Ghent. Wenn man Deutsche:r ist, ist die Anmeldung super einfach. Man zählt dann nämlich als sogenannter Cross-Border-Student. Um sich offiziell als Student bei der Stadt anzumelden, muss man online ein Formular ausfüllen. Nach ca. 4 – 6 Wochen bekommt man dann per Mail die Bestätigung. Wichtig hierbei ist, dass der Hauptwohnsitz in Deutschland bleibt.
Und da wir schon beim Thema Bürokratie sind, machen wir doch gleich mit den nötigen Versicherungen weiter. Was man definitiv im Ausland braucht, ist eine Haftpflicht- und Unfallversicherung. In meinem Fall war ich noch über meine Mutter versichert und die beiden Versicherungen waren problemlos und für unbegrenzte Zeit im Ausland gültig. Trotzdem sollte man vorher immer seine Versicherungspolicen checken und sicher gehen, dass das Land und die Dauer des Aufenthalts abgedeckt sind. – Übrigens sind diese beiden Versicherungen Voraussetzung, dass man als Erasmus+ Student überhaupt ins europäische Ausland darf.
Was die Krankenversicherung (KV) betrifft, ist es ein bisschen komplizierter. Wenn Du gesetzlich krankenversichert bist, kannst Du Deine Versicherung mit der belgischen Krankenversicherung Helan koppeln lassen. Helan ist auch auf den allgemeinen Welcome Days der Uni Ghent vertreten. Dort kannst Du einfach zum Stand gehen, mit den Mitarbeitenden sprechen und ggfs. mit deren Hilfe ein Formular ausfüllen. Helan setzt sich dann mit Deiner KV in Deutschland in Verbindung. Damit dieser Vorgang besser klappt, ist es sinnvoll, die europäische Krankenversicherungskarte zu beantragen. Damit sollten Dir dann alle anfallenden Kosten erstattet werden bzw. im besten Fall musst Du vor Ort bei Arzt erst gar nichts zahlen, weil es im Hintergrund automatisch zwischen Helan und Deiner KV abgerechnet wird.
Wenn Du in Deutschland privat versichert bist, wird es allerdings sehr kompliziert. Die angesprochene Koppelung und KV-Karte bringen Dir nichts. Du musst vor Ort alles selber bezahlen und hoffen, dass Dir Deine private KV und vor allem die Beihilfe (!) die Kosten erstatten. Das kann besonders kompliziert werden, da man bei den belgischen Ärzten nur Quittungen bekommt, die sich von den deutschen Rechnungen massiv unterscheiden. In meinem Fall hat das leider nicht geklappt. Zum Glück hält sich der Besuch beim Hausarzt mit 25 – 30 € aber noch in Grenzen (Stand 2024). Besonders zu empfehlen ist der Uni eigene Medical Service. Absprachen kann man problemlos online buchen, man ist nicht an einen bestimmten Arzt gebunden und kann jederzeit wechseln. Zudem sind die Kosten hier noch etwas günstiger als bei privaten Hausarztpraxen und die Ärzte sprechen fließend Englisch.
Eine kleine Entlastung gibt es dann aber wieder beim Thema inländische Telefonnummern und Bankkonten. Die brauchst Du in Belgien wirklich überhaupt nicht. Einkaufen kannst Du bequem mit Deiner eigenen Bank- oder Kreditkarte. Übrigens setzt Belgien ähnlich wie die skandinavischen Länder primär auf bargeldloses Bezahlen. In Supermärkten wirst Du aber trotzdem noch problemlos mit Deinem Bargeld bezahlen können.
Hochpreisiger Alltag
Apropos Supermärkte. Das Einkaufen in Belgien kann manchmal schon etwas im Geldbeutel schmerzen. Generell ist alles teurer. Besonders aber Fleisch, Fisch und pflanzliche Alternativprodukte wie Sojajoghurt. Diesen kann man meist nur von der in Belgien beheimateten Marke Alpro kaufen und zahlt gerne mal 3,50 € pro 400 g Becher! Auch die Drogerieprodukte sind nicht ohne und liegen meistens 1,5 – 2 x über dem deutschen Preis. Es lohnt sich daher, die benötigte Drogerieprodukte aus Deutschland mitzubringen! So habe ich es auch immer gemacht.
Zwischen Boutiquen und 2nd Hand
Beim Thema einkaufen und shoppen hat Ghent allerdings eine Menge zu bieten. Ich habe noch nie in meinem Leben auf so engem Raum so viele verschiedene Geschäfte gesehen. Nicht nur die üblichen wie H&M, Zara und Co., sondern richtig viele kleine Boutiquen mit sehr schicken und edlen Kleidungsstücken. Und wie ich an einem meiner letzten Tage in Ghent gelernt habe, hat die Stadt unfassbar viele Concept-Stores mit super niedlichen Handwerksarbeiten. Besonders gerne mochte ich einen Laden, der viele verschiedene Pflanzen, sowie Blumentöpfe, antike Schätze und andere Kleinigkeiten verkauft hat. Ein weiterer Favorit war für mich ein Familienbetrieb, der handgefertigte Seifen aus Ghent verkauft und Dille en Kamille. Diese Kette setzt auf Nachhaltigkeit und verkauft einige coole Zero Waste Swaps. Gibt es übrigens auch in einigen deutschen Städten (z. B. Aachen). Und zu guter Letzt habe ich in Ghent das Second-Hand-Kleidershopping sehr genossen. Ich habe selten eine so gute und große Auswahl an 2nd Hand Kleidung gesehen. Mein Lieblingsladen war der „Krijgwinkel“. Der Laden gehört zu einer Organisation. Es gibt auch noch die Kette ThinkTwice. Allerdings sind hier die Preise erfahrungsgemäß teurer als bei den Läden, die durch das rote Kreuz betrieben werden.
Eine Burg mitten in der Stadt
Nun ist Ghent aber bei weitem nicht (nur) für seine Ladenvielfalt bekannt. In Ghent ist die historische Altstadt wunderbar erhalten. Die Häuser sind traumhaft schön und das Flair der ehemaligen Handelsstadt kommt dadurch voll zum Tragen. Besonders sehenswert ist auch der Gravesteen – eine massive Burg mitten in der Stadt, die in ihrer Geschichte nur ein einziges Mal erobert wurde und das von Studenten. Jedes Jahr in der Winterzeit gibt es dort einen Abend, an dem nur Studenten in die Burg dürfen und dort feiern können (natürlich unter Auflagen, da die Burg auch weiterhin gut erhalten bleiben soll). Den Rest des Jahres kann man die Burg mit einem sehr unterhaltsamen Audioguide besuchen. Vor allem die Folterkammer kann einem gerne mal einen kalten Schauer auf dem Rücken verursachen. Läuft man vom Gravesteen weiter Richtung Innenstadt, kann man die alte Post (De Post) sowie das Rathaus und den Belfried (eine Art Wachturm) sehen. Sehr zu empfehlen ist auch die St. Bravo Kathedrale, die den berühmten Genter Altar beherbergt. Des Weiteren bietet Ghent eine Menge Museen sowie den botanischen Garten am Ledeganck Campus der Uni Ghent. Letzterer ist für alle Besucher kostenlos. Für Museen gibt es tolle Vergünstigungen, z. B. 2,50 € Tickets für unter 26-Jährige für das Stadtmuseum STAM.

Schlemmen leicht gemacht
Was das Essen angeht, so findet man in Ghent und Belgien generell viele sogenannte Frituur. Im Prinzip ist das ein kleiner Imbiss, der belgische Pommes sowie andere frittierte Spezialitäten verkauft. Besonders empfehlenswert finde ich De Frietketel. Eine Frituur, die auch eine große Auswahl an veganen Speisen anbietet. Darüber hinaus gibt es jede Menge exotischer Restaurants: libanesisch, indisch, koreanisch u. v. m.. Einfach ein kulinarisches Highlight!
Und was man natürlich unbedingt probieren muss, sind die belgischen Waffeln! Diese gibt es ebenfalls vegan bei Oya. Mein Lieblings-Waffelladen im Bahnhof Gent St. Pieters hat leider Anfang 2024 dichtgemacht. Oya macht aber auch leckere Waffeln, wenn auch etwas teurer. Und zu guter Letzt sollte man unbedingt die Pralinen von Daskalides probieren. Auch wenn dieser Familienbetrieb nicht „der Erfinder der Pralinen ist“ (Das soll nämlich Neuhaus sein), finde ich diese Manufaktur deutlich ansprechender, da die Preise nicht ganz so durch die Decke gehen (Auch wenn sie 2024 im Vergleich zu meinem Auslandssemester 2022 schon gut angezogen haben).

Fazit – meine heimliche Liebe
Besonders begeistert hat mich an Ghent, dass diese Stadt sehr multikulti ist und man wirklich viele verschiedene Sprachen hört. Die Stadt ist jung, dynamisch und schläft nie. Selbst spätabends sieht man viele Leute auf den Bürgersteigen sitzen, wo Restaurants teilweise ihre Tische aufstellen dürfen. Die Stimmung ist jedes Mal ausgelassen und durch die vielen Lichterketten ganz besonders schön.
Ghent sowie ganz Belgien besticht durch seine außerordentliche Gastfreundschaft und gute Zuganbindung. Das Land hat weit mehr an Kunst und Kultur zu bieten als nur Pommes – auch wenn diese natürlich nicht fehlen dürfen.
Für mich war das Auslandssemester eine gelungene Überraschung, ein Erfolg auf ganzer Länge.
Falls Du selbst btSler:in bist und von Deinem Auslandsaufenthalt auf unserem Blog berichten möchtest, dann schreibe eine Mail mit dem Betreff Karriereblog Auslandserfahrung an unsere AG Marketing. Wir freuen uns über jeden Erfahrungsbericht!
Autorin

Carolin Krieger (M.Sc. Molecular Life Sciences) beschreibt ihr Auslandssemester in Belgien als die beste Zeit ihres Lebens. Für sie sind Auslandsaufenthalte, egal welcher Art und Länge, eine echte Lebensbereicherung. Unsere Ländersteckbriefe sollen Dir bei der Auswahl für Dein nächstes Auslandssemester/-praktikum helfen.
Folgende Person hat ebenfalls mitgewirkt: Katja Gollas